Delir
Im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung kann bei Patient*innen ein Delir auftreten. Delir beschreibt einen akuten Verwirrtheitszustand. Die betroffenen Patient*innen erleben diesen Zustand oftmals wie einen Albtraum. Sie sehen, hören oder fühlen Dinge, die für Außenstehende keinen Sinn ergeben und so nicht existieren (Halluzination). Zeitweise befinden sie sich in ihrer eigenen „realen“ Welt. Ein Delir kann innerhalb weniger Stunden entstehen und wenige Tage bis Wochen andauern. Dieser Zustand kann sowohl für die betroffenen Patient*innen als auch für die Angehörigen sehr beängstigend und besorgniserregend sein.
Mehr als ein Drittel der intensivmedizinischen Patient*innen sind von einem Delir betroffen. Dabei begünstigen Faktoren wie ein hohes Lebensalter, eine Infektion, die Gabe von bestimmten Medikamenten oder eine künstliche Beatmung die Entstehung eines Delirs. Folgende Anzeichen können auf ein Delir hinweisen:
- Ängstliche Unruhe
- Aggression
- Verwirrtheit
- Dinge sehen oder hören, die nicht da sind
- Erinnerungsprobleme
- Zeitliche und örtliche Desorientierung
- Ungewöhnliche Bewegungen, z.B. an der Kleidung zupfen
- Geringere Aufmerksamkeit
- Schwierigkeit, Handlungsanweisungen zu befolgen
- Sprachstörungen
- Gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus
- Schläfrigkeit und Antrieblosigkeit
Folgende drei Erscheinungsformen eines Delirs werden unterschieden: die hyperaktive, die hypoaktive und die Mischform. Patient*innen, die von einem hyperaktiven Delir betroffen sind, können sehr aufgeregt und ungehalten sein. Manchmal kommt es vor, dass sie Aggressionen gegenüber dem Personal zeigen und Behandlungen ablehnen. So versuchen sie beispielsweise, aus dem Bett zu steigen oder sich an ihrem Körper angebrachte Zugänge und Elektroden zu entfernen. Ein hypoaktives Delir ist für Außenstehende schwerer auszumachen, da die Patient*innen weniger agil sind. Zwar werden auf einigen Intensivstationen Tests zur Beurteilung der Konzentrationsfähigkeit durchgeführt, um ein vorhandenes Delir zu erkennen, jedoch müssen die Patient*innen dafür wach genug sein. Daher wenden Sie sich bitte an das behandelnde Team, falls Sie das Gefühl haben sollten, dass Ihr*e Angehörige*r sich anders verhält und Anzeichen eines Delirs zeigt.
Folgen und Behandlung eines Delirs
Ein Delir kann den Genesungsprozess negativ beeinflussen und die Risiken für einen verlängerten Krankenhausaufenthalt, die Entwicklung eines Post Intensive Care Syndroms und die Sterblichkeit erhöhen.
Die Behandlung eines Delirs richtet sich nach den jeweils auftretenden Symptomen. Die Förderung eines Tag-Nacht-Rhythmus ist Teil der Behandlung. Zudem stellen die Linderung von Schmerzen, die Entwöhnung von der künstlichen Beatmung sowie das Reduzieren der schlaffördernden Medikamente weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Delirs dar. Darüber hinaus zählt zur Behandlung eines Delirs die Frühmobilisation (z. B. das Sitzen an der Bettkante) und die aktive Einbindung der Angehörigen in den Genesungsprozess.
Wie können Sie sich verhalten?
Delirante Patient*innen erleben die Welt anders. Sie nehmen andere Dinge wahr und können in ihrer eigenen Welt gefangen sein, die manchmal einem Albtraum gleicht. Das teilweise ablehnende und aggressive Verhalten ist das Resultat der Angst und Unsicherheit der betroffenen Personen. Einen nahestehenden Menschen so mitzuerleben, kann sehr belastend und beängstigend sein.
Sie können helfen, indem Sie versuchen, der betroffenen Person Sicherheit zu vermitteln. Ein vertrautes Gesicht, der Klang einer bekannten Stimme, eine Berührung oder ein gewohnter Geruch kann beruhigend auf die Person wirken und ihr Sicherheitsgefühl steigern. Zusätzlich können Sie vertraute Gegenstände (z.B. ein Lieblingsbild) mitbringen, um die fremdartige Umgebung persönlicher zu gestalten. Gerade bei Patient*innen, die Erinnerungslücken haben, ist das Informationsbedürfnis sehr hoch. Durch verständliche Erklärungen kann dieses erfüllt werden. Sprechen Sie dabei sanft. Verwenden Sie kurze Sätze und einfache Wörter. Stellen Sie kurze und einfache Fragen. Setzen Sie von den Patient*innen benötigte Hilfsgegenstände (z. B. Brille oder Hörgeräte) ein. Um eine Orientierung zu geben, erinnern Sie während Ihrer Gespräche an Tag und Datum. Durch Ihre Mitarbeit können Sie dem Pflegepersonal helfen, die Bedürfnisse Ihres Angehörigen besser einschätzen und erfüllen zu können.
Des Weiteren kann das Führen eines Intensivtagebuchs dazu beitragen, mögliche Erinnerungslücken der betroffenen Person zu schließen. Ein Intensivtagebuch wird während des Intensivaufenthalts für Patient*innen geschrieben. Nur verschwommen erinnerte Zeit zu rekonstruieren und zu verstehen, kann sowohl für Patient*innen als auch für Angehörige sehr hilfreich sein. Patient*innen mit einem Intensivtagebuch weisen nach dem Krankenhausaufenthalt weniger psychische Belastung auf als Patient*innen ohne ein Intensivtagebuch.
Intensivtagebücher werden auch auf der ITS des Universitätsklinikums Jena genutzt. Eine Fotodokumentation und Erlebnisberichte geben Beispiele. Weitere Informationen finden Sie hier.
In einigen Fällen können delirante Patient*innen auch aggressiv gegenüber ihren eigenen Angehörigen werden. Wenn Sie daraufhin mit Gefühlen wie Verzweiflung, Traurigkeit, Wut und Scham reagieren, ist dies in solch einer Situation völlig normal. Sprechen Sie über diese Gefühle mit ihrer Familie, Freunden oder auch mit dem Pflegepersonal. Nehmen Sie sich ein paar Stunden Zeit für sich und gönnen Sie sich eine kleine Auszeit mit Dingen, die Ihnen guttun. Versuchen Sie sich vor Augen zu führen, dass es keine böse Absicht, sondern der akute psychische Zustand ist, der Ihre*n Angehörige*n so handeln lässt.
Weitere Informationen finden Sie unter:
Wissenschaftliche Literatur, Quellen
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